Wie der Leopard zu seinen Flecken kam

von Rudyard Kipling

absurd (12) lustig (20) ab 5 (20)

In den Tagen, als alle glücklich anfingen, Meistgeliebter, lebte der Leopard in einer Gegend, die ›das Hohe Veldt‹ genannt wurde. Denk' dran, es war nicht das Tiefe Veldt oder das Buschveldt oder das Saure Veldt, sondern das gänzlich kahle, heiße, besonnte Hohe Veldt, wo es Sand gab und sandfarbene Felsen und nur Büschel von sandig-gelbem Gras. Da lebten die Giraffe und das Zebra und die Elenantilope und der Kudu und die Kuhantilope; und sie waren vollständig über und über sandgelb-bräunlich; aber der Leopard, der war der vollständig sandgelbst-bräunlichste von allen – eine Art grau-gelblich katzenförmiges Tier, das aufs Haar zu der vollständig gelblich-gräulich-bräunlichen Farbe des Hohen Veldts passte.

Das war schlecht für die Giraffe und das Zebra und die Übrigen; denn er legte sich zu einem vollständig gelblich-gräulich-bräunlichen Stein oder Grasflecken, und wenn die Giraffe oder das Zebra oder die Elenantilope oder das Kudu oder der Buschbock oder der Bontebock vorüberkamen, schreckte er sie aus ihrem sprunghaften Leben. O ja, das tat er! Und außerdem gab es da noch einen Äthiopier mit Pfeil und Bogen (das war damals ein gänzlich gräulich-gelblich-bräunlicher Mann), der bei dem Leopard im Hohen Veldt lebte; und sie jagten zusammen – der Äthiopier mit seinem Pfeil-und-Bogen, und der Leopard ausschließlich mit seinen Zähnen und Krallen – bis die Giraffe und die Elenantilope und das Kudu und das Quagga und alle die Übrigen nicht mehr wußten, wohin sie noch springen sollten, Meistgeliebter. O nein, sie wußten es wirklich nicht mehr!

Nach langer Zeit – sie hatten alle ein langes Leben in diesen Zeiten – lernten sie, allem aus dem Weg zu gehen, was wie ein Leopard oder Äthiopier aussah; und Schritt für Schritt – die Giraffe zuerst, weil sie die längsten Beine hatte – verließen sie das hohe Veldt. Sie machten sich davon, tage- und tage- und tagelang, bis sie zu einem großen Wald kamen, vollständig voller Bäume und Büsche und streifiger, fleckiger, klecksiger Schatten, und da versteckten sie sich: und nach langer Zeit, weil sie halb im Schatten und halb in der Sonne standen, und wegen der flimmer-flackernden Schatten der Bäume, die auf sie fielen, wurde die Giraffe fleckig, und das Zebra streifig, und die Elenantilope und das Kudu wurden dunkler, mit kleinen welligen grauen Strichen auf dem Rücken, wie Rinde auf einem Baumstamm; so dass du sie, obwohl du sie hören und riechen konntest, nur selten sehen konntest, und das nur, wenn du genau wußtest, wo du nachschauen mußtest. Es ging ihnen wunderbar in den vollständig fleckig-streifigen Schatten des Waldes, während der Leopard und der Äthiopier im vollständig gräulich-gelblich-bräunlichen Hohen Veldt draußen herumrannten und sich wunderten, wo alle ihre Frühstücke und Mittagessen und Abendbrote geblieben waren. Schließlich waren sie so hungrig, dass sie Ratten und Käfer und Felskaninchen aßen, der Leopard und der Äthiopier, und dann hatten sie das Grosse Bauchweh, alle beide; und dann trafen sie Baviaan – den hundeköpfigen, bellenden Pavian, der das Wirklich Weiseste Tier in Ganz Süd-Afrika ist.
Sprach Leopard zum Pavian (und es war ein sehr heißer Tag)

»Wo ist das ganze Wild hingegangen?«

Und Baviaan zwinkerte. Er wußte es.

Sprach der Äthiopier, »Kannst du mir den derzeitigen Aufenthalt der eingeborenen Fauna benennen?« (Das bedeutete genau dasselbe, aber der Äthiopier benutzte immer so lange Wörter. Er war erwachsen.)

Und Baviaan zwinkerte. Er wußte es.

Dann sagte Baviaan, »Das Wild ist zu anderen Flecken gegangen; und mein Rat an dich, Leopard: gehe auch zu anderen Flecken, so bald du kannst.«

Und der Äthiopier sagte: »Das ist alles sehr schön, aber ich möchte wissen, wohin die eingeborene Fauna gewandert ist.«

Da sagte Baviaan, »Die eingeborene Fauna hat sich der eingeborenen Flora angeschlossen, weil es höchste Zeit für eine Veränderung war; und mein Ratschlag für dich, Äthiopier, ist, dass du dich verändern solltest, so bald du kannst.«

Das verwirrte den Leoparden und den Äthiopier, aber sie gingen los, um die eingeborene Flora zu suchen, und plötzlich, nach so-und-so-vielen Tagen, sahen sie einen großen, hohen, hochgewachsenen Wald voller Baumstämme, die alle vollständig gefleckt und verdeckt und verdreckt und bematscht und beklatscht und bekleckst und befleckt und kreuz-und-quer mit Schatten bedeckt waren.

(Sag das mal schnell und laut, dann wirst du sehen, wie sehr schattig der Wald gewesen sein muß.)

»Was ist das,« sagte der Leopard, »was da so vollständig dunkel und doch so voller kleiner Lichtstückchen ist?«

»Ich weiß es nicht,« sagte der Äthiopier, »aber es muß die eingeborene Flora sein. Ich rieche Giraffe, und ich höre Giraffe, aber ich kann keine Giraffe sehen.«

»Das ist seltsam,« sagte der Leopard. »Ich nehme an, das kommt, weil wir gerade aus dem Sonnenschein gekommen sind. Ich rieche Zebra, und ich höre Zebra, aber ich kann kein Zebra sehen.«

»Warte mal,« sagte der Äthiopier. »es ist lange her, dass wir sie gejagt haben. Vielleicht haben wir vergessen, wie sie aussehen.«

»Quatsch!« sagte der Leopard. Ich weiß noch genau, wie sie auf dem Hohen Veldt waren, besonders die Markknochen. Giraffe ist ungefähr siebzehn Fuß hoch, und von Kopf bis Fuß vollständig rötlichocker-goldgelb; und Zebra ist ungefähr viereinhalb Fuß groß, vollständig grau-rehbraun gefärbt von Kopf bis Fuß.«

»Ähm,« sagte der Äthiopier und schaute in die fleckig-klecksigen Schatten des eingeborenen Flora-Waldes. »Dann sollten sie auf diesem dunklen Hintergrund auffallen wie reife Bananen im Räucherhaus.«

Das taten sie aber nicht. Der Leopard und der Äthiopier jagten den ganzen Tag; und obwohl sie sie riechen und hören konnten, sahen sie kein einziges von ihnen.

»Um Gottes Willen,« sagte der Leopard zur Abendbrotzeit, »laß uns warten bis es dunkel wird. Dieses Jagen bei Tageslicht ist absolut skandalös.«

So warteten sie die Dunkelheit ab, und da hörte der Leopard ein schnüffelndes Atmen in dem Sternenlicht, das ganz streifig durch die Zweige fiel, und es roch wie Zebra, es fühlte sich wie Zebra an, und als er es umwarf, trat es wie Zebra, aber er konnte es nicht sehen. Also sagte er, »Sei still, o Person ohne Form. Ich werde mich bis zum Morgen auf deinen Kopf setzen, weil du etwas an dir hast, was ich nicht verstehe.«

Gleichzeitig hörte er ein Grunzen und ein Krachen und ein Scharren, und der Äthiopier rief: »Ich habe ein Ding gefangen, das ich nicht sehen kann. Es riecht wie Giraffe, und es tritt wie Giraffe, aber es hat keine Form.«

»Trau' ihm nicht,« sagte der Leopard. »Setz dich bis zum Morgen auf seinen Kopf – so wie ich. Sie haben keine Form – keins von ihnen.«

So saßen sie auf ihnen, akkurat bis zur hellen Morgenzeit, und dann sagte der Leopard, »Was hast du an deinem Tischende, Bruder?«

Der Äthiopier kratzte sich am Kopf und sagte: »Es sollte vollständig zart gräulich-rehbraun sein, und es sollte Zebra sein; aber es ist über und über mit schwarzen und purpurnen Streifen bedeckt. Was in aller Welt hast du mit dir angestellt, Zebra? Weißt du nicht, dass ich dich auf dem Hohen Veldt aus zehn Meilen Entfernung sehen könnte? Du hast überhaupt keine Form.«

»Ja,« sagte das Zebra. »Aber hier ist nicht das Hohe Veldt. Kannst du das nicht sehen?«

»Jetzt kann ich's,« sagte der Leopard. Aber gestern ging es überhaupt nicht. Wie macht man das?«

»Laßt uns aufstehen,« sagte das Zebra, »und wir zeigen es euch.«

Sie ließen das Zebra und die Giraffe aufstehen; und Zebra ging zu einem kleinen Dornbusch, wo das Sonnenlicht ganz streifig schien, und Giraffe ging zu ein paar höheren Bäumen, wo die Schatten ganz fleckig waren.

»Jetzt paßt auf,« sagten das Zebra und die Giraffe. »So wird's gemacht. Eins-zwei-drei! Und wo ist euer Frühstück?«

Leopard glotzte, und Äthiopier glotzte, aber alles was sie sahen, waren streifige Schatten und fleckige Schatten im Wald, aber keine Spur von Zebra und Giraffe. Die waren einfach weggegangen und hatten sich im schattigen Wald versteckt.

»Hi! Hi!« sagte der Äthiopier. »Den Trick sollte man lernen. Nimm dir ein Beispiel, Leopard. Dich sieht man in diesem Dunkel wie ein Stück Seife im Kohlenkasten.«

»Ho!Ho!« sagte der Leopard. »Würde es dich sehr verwundern zu hören, dass du in dieser Dunkelheit auffällst wie ein Senfpflaster auf einem Kohlensack?«

»Gut – mit Beleidigungen fängt man kein Mittagessen,« sagte der Äthiopier. »Kurz und knapp gesagt: wir passen nicht zu unserem Hintergrund. Ich werde Baviaans Rat annehmen. Er sagte: ich sollte mich verändern; und da ich außer meiner Haut nichts habe, was ich verändern könnte, werde ich die ändern.«

»Wozu?« sagte der Leopard in fürchterlicher Aufregung.

»Zu einer nett aussehenden schwarz-bräunlichen Farbe, mit ein wenig Purpur darin und einer Spur schieferblau. Es wird das Optimale sein, um sich in Löchern und hinter Bäumen zu verstecken.«

So änderte er an Ort und Stelle seine Hautfarbe, und der Leopard wurde aufgeregter als je zuvor; er hatte noch niemals gesehen, dass ein Mensch seine Hautfarbe änderte.

»Aber was ist mit mir?« sagte er, als der Äthiopier seinen letzten kleinen Finger in die feine neue schwarze Haut verwandelt hatte.
»Du nimmst auch Baviaans Rat an. Er sagte: du solltest zu Flecken gehen.«

»Das habe ich doch getan,« sagte der Leopard. »Ich bin so schnell ich konnte zu neuen Flecken gegangen. Ich bin mit dir zu diesem Flecken gegangen, und das hat mir viel Gutes gebracht.«

»Oh,« sagte der Äthiopier. »Baviaan hat keine Flecken in Süd-Afrika gemeint. Er meinte Flecken auf deiner Haut.«
»Was soll das bringen?« sagte der Leopard.

»Denk an Giraffe,« sagte der Äthiopier. Oder, wenn du Streifen bevorzugst, denk an Zebra. Sie sind mit ihren Streifen und Flecken perfekt zufrieden.«

»Ähm,« sagte der Leopard. »Ich möchte nicht wie Zebra aussehen – niemals.«

»Gut, dann denk dir was aus,« sagte der Äthiopier. »weil ich es hassen würde, ohne dich jagen zu gehen, aber das muss ich wohl, wenn du darauf bestehst, wie eine Sonnenblume vor einem geteerten Zaun auszusehen.«

»Ich nehme dann also Flecken,« sagte der Leopard; »aber mach sie nicht so vulgär groß. Ich möchte nicht wie Giraffe aussehen – niemals.«

»Ich mache sie mit den Fingerspitzen,« sagte der Äthiopier. »Auf meiner Haut ist noch reichlich Schwarz übriggeblieben. Stell dich her!«

Dann preßte der Äthiopier seine fünf Finger fest zusammen (es war noch viel Schwarz auf seiner neuen Haut übrig) und drückte sie überall auf den Leoparden, und überall, wo seine fünf Finger hinkamen, machten sie fünf kleine schwarze Abdrücke, alle ganz eng zusammen. Du kannst sie auf jedem beliebigen Leopardenfell sehen, Meistgeliebter. An einigen Stellen rutschten die Finger, und die Abdrücke wurden etwas verschmiert; aber wenn du dir jetzt irgendeinen Leoparden genau anschaust, wirst du sehen, das es immer fünf Flecken sind – von fünf fetten schwarzen Fingerspitzen.«

»Jetzt bist du eine Schönheit!« sagte der Äthiopier. Du kannst draußen auf dem nackten Boden liegen und wie ein Haufen Kieselsteine aussehen. Du kannst auf den nackten Felsen liegen und aussehen wie ein Stück Lavagestein. Du kannst auf einem beblätterten Zweig liegen und aussehen wie Sonnenschein, der durch die Zweige fällt; und du kannst gerade mitten auf dem Weg liegen und aussehen wie nichts Besonderes. Stell dir das vor und schnurre!«

»Aber wenn ich das alles bin,« sagte der Leopard, »warum bist du dann nicht auch fleckig geworden?«

»Oh, glattes Schwarz ist für einen Schwarzen am besten,« sagte der Äthiopier. »Jetzt komm, laß uns sehen, ob wir nicht mit Herrn 'Eins-zwei-drei-wo-ist-euer-Frühstück klarkommen!«

So gingen sie und lebten fortan glücklich und in Frieden, Meistgeliebter. Das ist alles.

Oh, und gelegentlich wirst du Erwachsene sagen hören, »Kann der Äthiopier seine Hautfarbe ändern, oder der Leopard seine Flecken?« Ich denke, so etwas Dummes würden nicht einmal Erwachsene immer wieder sagen, wenn der Leopard und der Äthiopier es nicht wenigstens einmal getan hätten – was meinst du? Aber sie werden es nie wieder tun, Meistgeliebter. Sie sind ganz zufrieden, wie sie sind.

Ich bin der hochweise Baviaan, hör' mein weises Wort
»Laß uns in der Landschaft aufgehen – nur wir zwei geh'n fort«
Leute sind gekommen – mit der Kutsche – zu Besuch. Aber Mama ist da...
Ja, ich darf gehen, wenn du mitkommst – Kindermädchen sagte »Ja«.
Zu den Schweineställen gehen und uns auf den Hofzaun setzen!
Den Kaninchen was erzählen, schau'n, wie sie durchs Gatter wetzen.
Wir sollen – ach, egal, Papi, Hauptsache, wir allein zu zweit
Wir sollen auf Entdeckung gehen, bis zum Abendbrot ist Zeit!
Hier, deine Stiefel bring ich dir, die Mütze und den Stock,
Hier, auch noch Pfeife und Tabak – komm schnell, wir hauen ab.